Du wirst geboren und du wirst eingekleidet. Du wächst auf und dir wird Kleidung parat gelegt. Du wirst älter und dir werden Regeln anerzogen, wie du dich zu kleiden hast. Du wirst noch älter und es werden immer mehr Regeln, die Rocklänge, der Ausschnitt, die Länge deiner Ärmel, dein Haarschnitt, deine Frisur. Selbst als dein Scheitel 1cm zu weit links ist, wirst du ermahnt. Du befolgst die Regeln. Wirst immer mehr zu einer Anziehpuppe. Immer wieder gibt es neue Regeln. Immer wieder beugst du dich ihnen. Mit 18 schaust du in den Spiegel und hast keine Ahnung wen du da siehst. Eine leere Hülle, mit der andere tun, was immer sie wollen. Du brichst aus. Wirfst alle Regeln über Bord, verlierst alles und fängst mutterseelenalleine bei Null an. Jetzt kannst du alles ausprobieren. Jetzt bist du frei von allen Regeln, von allen Trends, von allen gesellschaftlichen Erwartungen. Du probierst dies und jenes, versuchst das und das andere. Die Jahre vergehen und du veränderst dich immer
Aufgewachsen in einer streng religiösen Gemeinschaft hatte ich nie Raum für Individualismus. Jeder Aspekt meines Lebens war geregelt. Ganz ausführlich betraf dies die Kleidung: der Rock muss mindestens die Knie bedecken. Keinen Gehschlitz, keine Rüschen, keine Asymmetrie. Die Schultern müssen immer verdeckt sein. Der Bauch ganz selbstverständlich auch. Brust, Taille, Hüften – nichts darf die Aufmerksamt anderer wecken. Kein Make-up, das Haar zu einem strengen Knoten hochgesteckt. So sah ich aus als Teenager, dann als Jugendliche. Die Freizeit war durchgeplant. Montags übte man ein Instrument, Dienstags im Kirchenchor. Mittwochs traf man sich zum Bibel lesen, Donnerstags zum gemeinsamen Gebet. Freitags das ganze noch einmal mit der entsprechenden Altersgruppe. Am Wochenende dann natürlich mehrere Gottesdienste. Als Mädchen beschäftigte man sich selbstverständlich mit kochen, backen, nähen und beim Hüten der jüngeren Geschwister erlernte man ganz nebenbei das Mutter Sein.